Nach einem Jahr hat man sich bereits so sehr an die außergewöhnlichen Umstände gewöhnt, dass die Leere kaum noch auffällt: Im Gebäude der Agentur für Arbeit, wo sonst schon früh am Morgen Menschen an Schaltern stehen, geschäftiges Treiben herrscht und sich Berater und Arbeitsuchende auf den langen Fluren die Klinke in die Hand geben, regiert die Stille. Vor einem Jahr musste der Betrieb vor Ort von einem Tag auf den anderen komplett eingestellt und neu organisiert werden, die Berater verrichten ihre Arbeit seitdem teilweise auch aus dem Home Office. Und wo sonst täglich 800 Menschen ein und aus gingen, ist es plötzlich ungewöhnlich ruhig.
„Für die Beratungsgespräche bedeutet die Umstellung aufs Telefon eine enorme Herausforderung“, weiß Dr. Bettina Rademacher-Bensing, Vorsitzende der Geschäftsführung. „Persönliche Nähe kann durchs Telefon nur schwer geschaffen werden. Dazu kommt, dass viele Beratungsleistungen sehr komplex sind und wir es oft mit Menschen zu tun haben, die Verständnisschwierigkeiten haben.“ Der Videocall bietet noch keinen gleichwertigen Ersatz – und wird auch von den Kunden längst nicht so gut angenommen wie erwartet. Trotzdem überwiegt Optimismus: sowohl dahingehend, dass die Normalität irgendwann wieder einkehren wird, als auch in Bezug auf die Lehren, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus diesen Erfahrungen ziehen könnten.
„Für Unternehmen wird es immer wichtiger, potenziellen Mitarbeitern etwas über das Gehalt hinaus anbieten zu können und Arbeit gedeihlich zu gestalten“, weiß Rademacher-Bensing. „Gleitzeit und Homeoffice stehen bei Bewerbern hoch im Kurs. Und die vergangenen zwölf Monate haben vielen Chefs, die bislang skeptisch waren, gezeigt, dass produktives Arbeiten von zu Hause aus wirklich möglich ist.“ Ökonomischer Druck, Fachkräftemangel und eine größere Mobilität der Mitarbeiter, die heute viel eher bereit sind, bei Unzufriedenheit den Arbeitgeber zu wechseln als noch vor wenigen Jahrzehnten, könnten als zusätzlicher Beschleuniger einer bislang noch schleichenden Entwicklung fungieren – und gleichzeitig auch als Katalysator der Chancengleichheit, wie die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt Monique van Huijstee weiß. Derzeit sieht sie allerdings noch das Gegenteil: „Durch die Pandemie sind gerade Frauen ins Hintertreffen geraten“, erklärt sie. „Sie müssen sich zu Hause um Homeschooling und Erziehung kümmern, während ihre Karriere eine Zwangspause macht. Wir sehen daran, wie hartnäckig die alten Rollenbilder sind.“ Schließlich sehen sich Frauen auch auf Arbeitssuche immer wieder der Gretchenfrage eines jeden Bewerbungsgesprächs ausgesetzt: Wie halten Sie es mit der Kinderbetreuung? „Eine Frage, die häufig das Ende aller beruflichen Bemühungen ist und etwa in Schweden in dieser Form niemals gestellt werden“, sagt van Huijstee.
In der Agentur für Arbeit kümmert sie sich täglich um die Belange von Frauen, die auf der Suche nach Arbeit sind, den nächsten Karriereschritt machen möchten oder sich nach dem Mutterschutz auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben vorbereiten – und tritt auch immer wieder mit Unternehmen in Kontakt, um für mehr Chancengleichheit zu werben. Ein Prozess, der weiterhin viel Überzeugungsarbeit braucht. „Ich empfehle allen Frauen, sich gut auf Fragen nach der Kinderbetreuung vorzubereiten und eine überzeugende Antwort parat zu haben. Aber genauso gehe ich auf Unternehmen zu und versuche ihnen zu verdeutlichen, dass sie sich selbst schaden, wenn sie die Einstellungsentscheidung vom Geschlecht abhängig machen“, so van Huijstee weiter. „Nicht nur reduzieren sie die Zahl der Bewerber erheblich, wir wissen auch, dass eine ausgewogene Besetzung förderlich für das Arbeitsklima und die Leistung ist.“ Eine flexiblere Organisation der Arbeitszeiten ist ein Mittel, Chancengleichheit zu schaffen, aber die Maßnahme muss von der Abkehr jener veralteten Vorstellung flankiert werden, nach der die Kindererziehung die Domäne der Frau ist. Positive Vorbilder sind dabei enorm hilfreich: „Wir bringen Frauen miteinander ins Gespräch und regen den Erfahrungsaustausch untereinander an. Es gibt heute deutlich mehr Möglichkeiten, Arbeit und Kinderbetreuung zu organisieren, als früher. Hier ist Flexibilität auf beiden Seiten gefragt“, berichtet van Huijstee von ihren Erfahrungen.
Um sich glaubwürdig für Chancengleichheit einsetzen zu können, geht die Agentur für Arbeit selbst mit gutem Beispiel voran. „Bei der Besetzung der Teamleiter-Positionen mit weiblichen Führungskräften erreichen wir paritätische 50 Prozent“, bestätigt Rademacher-Bensing. „Diese Quote erreichen wir, indem wir schon früh darauf achten, Bewerber auszuwählen, die später in diese Rolle hineinwachsen könnten. Wir empfehlen auch Unternehmen immer wieder, Positionen nicht nach Geschlecht zu besetzen, sondern nach spezifischen Anforderungsprofilen. Aber das Vorurteil, dass Männer sich eher dazu eignen, Mitarbeiter zu führen, bröckelt leider nur langsam.“ Eine Entwicklung, die auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels dringend beschleunigt werden muss: „Bald wird es nicht mehr nur um die Frage der Kinderbetreuung gehen“, mahnt van Huijstee, „sondern auch um die private Pflege der eigenen Eltern. Diese Aufgabe kann dann nicht mehr allein auf die Frauen abgeschoben werden. Der Herausforderung wird sich die Arbeitswelt stellen müssen.“ Ein Prozess, der besser nicht von einem Tag auf den anderen eingeleitet werden sollte.
Agentur für Arbeit Krefeld / Kreis Viersen
Monique van Huijstee
Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA)
Philadelphiastr. 2
47799 Krefeld
Tel.: 02151/92 2412
E-Mail: krefeld.bca@arbeitsagentur.de
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